The White Lotus (Serie)

Ein exklusives Ferienresort auf Hawaii ist der Schauplatz von Mike Whites Miniserie The White Lotus. Für jeden der Urlauber hält der Aufenthalt Überraschungen bereit.


The White Lotus
Komödie/Drama/Miniserie USA 2021. 6 Folgen (Staffel 1). Gesamtlänge: ca. 355 Minuten.
Mit: Murray Bartlett, Connie Britton, Jennifer Coolidge, Alexandra Daddario, Fred Hechinger, Jake Lacy, Britanny O’Grady, Natasha Rothwell, Sydney Sweeney, Steve Zahn u.a. Idee, Drehbuch und Regie: Mike White.

 

 

Paradies für privilegierte Weiße

Das Personal des White Lotus Hotels auf Maui im US-Bundesstaat Hawaii, angeführt vom sonnigen Manager Armond (Murray Bartlett), heißt neue Gäste willkommen. Nicole Mossbacher (Connie Britton), die Finanzmanagerin eines erfolgreichen Onlineunternehmens ist mit ihrem Mann Mark (Steve Zahn), dem 16jährigen Sohn Quinn (Fred Hechinger), Tochter Olivia (Sydney Sweeney) und deren besten Freundin Paula (Brittany O’Grady), beides Collegestudentinnen im zweiten Jahr, angereist. Shane Patton (Jake Lacy) ist Immobilienmakler und stammt aus einer sehr reichen Familie. Seine Frau Rachel (Alexandra Daddario), mit welcher er die Flitterwochen auf Hawaii verbringt, ist dagegen eine nicht wohlhabende, weniger patente Journalistin. Die reiche Tanya McQuoid (Jennifer Coolidge) trauert um ihre Mutter und möchte deren Asche im Meer verstreuen. Schon bald freundet sie sich mit Belinda (Natasha Rothwell) an, welche die Spa-Abteilung des Hotels leitet. Die idyllische Stimmung hält allerdings nicht lange an. Aufgrund eines Buchungsfehlers haben Shane und Rachel die falsche Hochzeitssuite zugeteilt bekommen. Außerdem verschwinden bald die Medikamente von Paula und Mark erfährt ein Familiengeheimnis, welches ihn aus der Bahn wirft. Manager Armond fällt es zunehmend schwer, die Wünsche der Gäste mit einem Lächeln zu erfüllen…

Mike White, geboren 1970, hat bisher nicht nur als Schauspieler, Autor, Produzent und Regisseur in Serien und Filmen (u.a. Dawson’s Creek, Nix wie raus aus Orange County, School of Rock, Enlightened – Erleuchtung mit Hindernissen) gewirkt, sondern auch an den Reality-Shows The Amazing Race und Survivor als Kandidat teilgenommen. Für HBO, auch in Zeiten des wachsenden Streamingmarktes immer noch Garant für hochwertige Serienstoffe, hat der US-Amerikaner The White Lotus in Personalunion erfunden, komplett allein geschrieben, inszeniert und mitproduziert. Scheint die sechsteilige Miniserie auf den ersten Blick wie eine Mischung aus kitischigen Urlaubsklischees à la Das Traumschiff so entpuppt sich diese schnell als entlarvende Gesellschaftsstudie zwischen Drama und Komödie, mit einem Todesfall am Ende.

Gleich mit der ersten Szene wird vorweggenommen, dass eine der Hauptfiguren die folgende Woche nicht überleben wird. Wer das sein wird und wie diese Person stirbt erfährt man erst in der letzten Folge. Als Zuschauer hat man also die Möglichkeit zu rätseln, wen es denn am Ende trifft. Für einen Krimiplot interessiert sich White aber nicht. Viel mehr sind es die unterschiedlichen Figuren, mit denen er das Luxushotel bevölkert und für was genau sie stehen. Denn The White Lotus präsentiert das luxuriöse Leben privilegierter Menschen und wie sie auf Kosten anderer Urlaub machen.

Fast ausnahmslos sind die Gäste des titelgebenden Resorts wohlhabende Weiße, die sich wenig bis keine Sorgen um Geld machen müssen. Der frisch verheiratete Shane Patton, ein verzogenes Kind im Körper eines Erwachsenen, der immer alles bekommen hat, was er wollte und deshalb partout nicht einsehen will, dass die gewünschte Suite eben belegt ist, bildet dabei die Spitze des Eisberges, die den immer strahlenden Manager Armond sukzessive in den Wahnsinn (zurück in die Drogensucht) treibt. Shanes noch reichere Mama muss die Sache schließlich selbst in die Hand nehmen. Da verwundert es sich, dass sich Shanes junge Gattin Rachel, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt, mehrmals fragt, ob das Ja-Wort nicht ein Fehler war und sie ihr restliches Dasein als „Trophy Wife“ fristen möchte. Dass Geld nicht glücklich macht, davon kann auch die aufgeschwemmt aussehende Tanya ein Lied singen. Viel Knete ist kein Garant für tiefgehende Beziehungen romantischer oder freunschaftlicher Natur, im Gegenteil. Und doch wird bei Spa-Leiterin Belinda, einer Afroamerikanerin, deren Geschäftsidee Tanya als Dank für die hilfreiche Zuwendung und netten Ratschläge finanzieren möchte, ein neuer Versuch gestartet.

Überaus heterogen erweist sich Familie Mossbacher. Mutter Nicole managt die Finanzen eines großen Searchengine-Konzerns, ein lukrativer, aber sehr fordernder Job, der sogar während der Freizeit Zoom-Calls mit Übersee-Geschäftspartnern erfordert. Was Ehemann Mark beruflich macht wird nicht erwähnt, ist aber auch völlig egal, denn er wird durch eine Enthüllung über seinen eigenen Vater in eine männliche Identitätskrise gestürzt, die es zu bewältigen gilt. Auf eine andere Art isoliert fühlt sich Sohn Quinn, der am liebsten an Gaming-Konsole und Smartphone hängt, aber im Verlauf des Urlaubs auch noch über seinen Tellerand hinaus blicken darf. Seine Schwester Olivia, kritisiert ihre konservativ wahrgenommenen Boomer-Eltern und gibt sich überaus progressiv. Diese Gehabe erweist sich aber als scheinheilig, denn profitiert die hippe Studentin doch vom Reichtum ihrer Eltern und durfte sogar ihre beste Freundin, die nicht reiche Paula mit ins Paradies nehmen.

Paula bildet neben Armond so etwas wie die Schlüsselfigur. Als nichtprivilegiertes, nicht(ganz)weißes „Anhängsel“ Olivias steht sie zwischen den Stühlen und kommt mit dem Kellner Kai (Kekoa Scott Kekumano) einem Einheimischen näher. Kais Familie wurde einst das Land weggenommen, auf welchem das Hotel steht. Viel deutlicher kann man die gerne in Vergessenheit geratenen, langfristigen Auswirkungen des Kolonialismus nicht thematisieren. Zwar mögen sechs knapp einstündige Folgen etwas zu wenig sein, um alle hier angerissenen Geschichten angemessen zu entwickeln, aber White hält gekonnt die Balance zwischen Urlaubsidyll mit humorvollen Szenen sowie gesellschaftskritischen Untertönen und Spannung an den richtigen Stellen.

Das wirklich paradiesische Ambiente (gedreht wurde von Oktober bis Dezember 2020 auf Maui) wird perfekt durch den brillanten Score des chilenisch-kanadischen Komponisten Cristobal Tapia de Veer untermalt. Die geniale Mischung aus Flöten, unterschiedlichen Percussion-Instrumenten und ekstatischer Vokalisation, wohl an traditionelle hawaiianische Musik angelehnt, schafft eine unfassbar intensive und atmosphärische Soundkulisse, meist mystisch und entspannend, aber bisweilen auch leicht bedrohlich. Wie von den meisten HBO-Serien gewohnt bietet die Miniserie auch einen hochwertig designten Vorspann.

Eigentlich hatte Mike White The White Lotus nur als einmaligen, limitierten Sechsteiler geplant. Doch wurde das Format von HBO kurz nach Ende der Ausstrahlung im August 2021 zur Anthologie-Serie mit unterschiedlichen Schauplätzen und Figuren umfunktioniert. Staffel 2 wird nicht mehr auf Hawaii spielen, sondern in einem anderen „White Lotus“-Resort auf Sizilien. Zur neuen Besetzung gehören F. Murray Abraham (Amadeus), Aubrey Plaza (Legion), Michael Imperioli (The Sopranos) und Tom Hollander (Fluch der Karibik).

Die erste Staffel von The White Lotus ist aktuell als kostenpflichtiger Stream bei Amazon, Sky, Apple TV, Google Play und Magenta TV abrufbar.

Fazit: The White Lotus von Mike White bietet in der ersten Staffel dezente Dekonstruktion von Postkolonialismus und Luxusurlaub vor idyllischer Kulisse, mit illustrem Ensemble und herausragender Musik von Cristobal Tapia de Veer. 8 von 10 Punkten.


Manager Armond und Mitarbeiterin Lani

Belinda hilft Tanya
 

Quinn mit seinem kriselnden Vater Mark

 


Marius Joa, 23. Februar 2022. Bilder: HBO/Sky.

 

 

 


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