Mit etwas ungewöhnlichen Mitteln schafft es Wölfe einer bereits häufig verfilmten historischen Epoche frische Impulse zu geben. Die Miniserie erzählt von den Regierungsjahren Heinrichs VIII. aus der Sicht des Staatsmannes Thomas Cromwell, gespielt vom renommierten Theatermimen Mark Rylance.
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Wölfe (Wolf Hall)
Historienserie UK 2015. Freigegeben ab 12 Jahren. 6 Folgen. Gesamtlänge: ca. 360 Minuten. TV-Erstausstrahlung: 21. Januar 2016.
Mit: Mark Rylance, Damian Lewis, Claire Foy, Bernard Hill, Anton Lesser, Mark Gatiss, Jonathan Pryce, Thomas Brodie Sangster, Saskia Reeves u.v.a. Regie: Peter Kosminsky. Drehbuch: Peter Straughan. Nach den Romanen Wölfe und Falken von Hilary Mantel.
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Intelligentes Kammerspiel
England, 1529. Lordkanzler Kardinal Wolsey (Jonathan Pryce) fällt bei Heinrich VIII. (Damian Lewis) in Ungnade, weil er die gewünschte Anullierung der Ehe mit Katharina von Aragon (Joanne Whalley) durch den Papst nicht erwirken kann. Königin Katharina konnte ihrem Ehemann keinen männlichen Erben schenken und so wünscht der englische Monarch, die junge Hofdame Anne Boleyn (Claire Foy) zu ehelichen. Wolseys langjährige rechte Hand, der findige Anwalt Thomas Cromwell (Mark Rylance) versucht die große Angelegenheit des Königs voranzutreiben und seinen altem Mentor dadurch zu helfen. Schließlich sagt sich Heinrich von Rom los, gründet seine eigene Kirche von England und heiratet Anne Boleyn. Wolsey wird entgültig entmachtet, indes steigt Cromwell dank seiner Kompetenz in schwierigen Rechtsfragen sehr schnell in der Gunst des Königs…
Die Geschichte um Englands berüchtigten Monarchen Heinrich VIII und seine sechs Ehefrauen wurde allein in den letzten gut zehn Jahren mehrfach adaptiert, in Form des starbesetzten Hollywoodfilms Die Schwester der Königin (2008) sowie des BBC-Zweiteilers Henry VIII (2003) und der Showtime-Serie Die Tudors (2007-2010). Der Sechsteiler Wölfe – basierend auf den Historienromanen Wölfe (Originaltitel: Wolf Hall, 2009) und Falken (Bring Up The Bodies, 2012) von Dame Hilary Mantel (geboren 1952) – erzählt von den Regierungsjahren des bekannten Tudor-Fürsten aus der Sicht von Thomas Cromwell, der von 1532 bis 1540 oberster Minister König Heinrichs war. Diese vergleichsweise reduzierte Perspektive innerhalb der Geschichte wird mit kleinen Ausnahmen stringent durchgehalten. Cromwell ist bei allen gezeigten Szenen persönlich anwesend, es sei denn wenn selten das Geschehene von einem Vertrauen aus “zweiter Hand” berichtet wird. Dem ungewöhnlichen Point-Of-View geschuldet, spielen König Heinrich und sein Hofstaat eine vergleichweise kleinere Rolle als in den bisherigen Film- und Fernseh-Versionen des bekannten Stoffes.
Es gelingt hier zudem, der Figur des Cromwell wesentlich mehr Tiefe und Profil zu verleihen. Wurde der einflussreiche Staatsmann bisher oft als machtbesessener und antikatholischer Intrigant dargestellt, so ist er hier eine positivere wenn auch ambivalente Persönlichkeit. Für seine Gegner ein undurchschaubarer Zeitgenosse, der durch seine gewissenhaft-gründliche Arbeit bei seinem König bald sehr gefragt ist, dabei aber nicht den Fall seines einstigen Herrn und Mentors Kardinal Wolsey verhindern kann, jenen allerdings rächt, als sich die Gelegenheit bietet. Eigentlich hatte sich Cromwell mit der Rolle als einfacher Jurist auf dem Lande, dessen Aufgaben die Schlichtung lokaler Streitigkeiten umfassen, begnügt. Doch als sowohl seine Ehefrau als auch seine beiden Töchter vom Schweißfieber dahingerafft werden, stürzt er sich in höhere Tätigkeiten.
Diesen undurchdringlichen, nüchternen, aber gleichzeitig auf seine Art verschlagenen Protagonisten spielt Mark Rylance mit einfacher, aber wirkungsvoller Mimik und vordergründig unscheinbaren Ausstrahlung. Rylance (56), der sich einen Namen als Akteur in unzähligen Shakespeare-Produktionen auf der Bühne gemacht hat und zehn Jahre als künstlerischer Leiter des rekonstruierten Globe Theatres in London agierte, gewann Ende Februar 2016 den Oscar als bester Nebendarsteller für seine Rolle als sowjetischer Spion in Stephen Spielbergs Bridge Of Spies. Im oben erwähnten Die Schwester der Königin war er als Anne Boleyns Vater Thomas zu sehen. Mit Claire Van Kampen arrangierte Rylances Ehefrau die zeitgenössische Musik aus der Tudor-Ära für die Miniserie.
Doch neben der einmaligen Performance des Hauptdarstellers gibt es keinerlei Qualitätsabfall. Im Gegenteil, Wölfe ist bis in die Nebenrollen mit bekannten und renommierten Charaktermimen besetzt. Damian Lewis (Die Königin der Wüste) gibt einen vergleichsweise ruhigen Heinrich VIII., der zwar seine Ausbrüche hat, aber nicht annähernd so eine Drama-Queen wie Jonathan Rhys-Meyers in Die Tudors gibt. Die Rolle von Anne Boleyn spielt Claire Foy, die hier gekonnt zwischen Hochmut und Verzweiflung (die Geschichte endet mit der Hinrichtung ihrer Figur) pendelt und seit dem 4. November 2016 als junge Königin Elisabeth II in der Netflix-Serie The Crown zu sehen ist. Neben Bernard Hill (Der Herr der Ringe) als Herzog von Norfolk (Annes Onkel), Anton Lesser (Game Of Thrones, The Hour) als unangenehm wirkenden Thomas More agieren hier auch Jonathan Pryce (Fluch der Karibik, Game Of Thrones) als Kardinal Wolsey sowie Mark Gatiss (Sherlock) in der Rolle des Geistlichen Stephen Gardiner, der wie Cromwell einst ein Gehilfe des Kardinals war und später zu seinem Gegenspieler wird.
Gedreht wurde das Historiendrama in unterschiedlichen historischen Gebäuden, Schlössern und Kathedralen aus dem Mittelalter und dem 16. Jahrhundert. Viele abendlichen und nächtlichen Innenaufnahmen wurden lediglich bei Kerzenlicht und ohne künstliche Beleuchtung gefilmt, was diesen Szenen eine besondere Atmosphäre verleiht. Regisseur Peter Kosminsky (Weißer Oleander) verzichtet bei seiner Inszenierung auf Pathos oder übermäßige Theatralik. Ohne dass eine besonders ausgeklügelte Dramaturgie erkenntlich scheint, reiht die Miniserie ihre verschiedenen Sequenzen in einer Weise an, die an die intuitiv-assoziativen Bilderwelten eines Wong Kar-Wai (Days Of Being Wild, In The Mood For Love) erinnern. Das macht Wölfe zwar nicht leicht zu verfolgen, aber bildet die komplexen Verwicklungen der Zeit aus einer begrenzten Sichtweise authentisch ab. Um die Geschichte Cromwells zu vollenden, schreibt Autorin Hilary Mantel derzeit an einem dritten und letzten Roman mit dem Titel The Mirror And The Light, der – sobald erschienen – auch als Miniserie adaptiert werden soll.
Seit der deutschen TV-Premiere im Januar 2016 bei Arte ist Wölfe auf DVD und BluRay sowie über Amazon Video erhältlich.
Fazit: Auf Basis der Romane von Hilary Mantel zelebrieren Hauptdarsteller Mark Rylance und Regisseur Peter Kosminsky ein nüchtern-eindringliches Historien-Kammerspiel ohne große Theatralik. 9 von 10 Punkten.
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Die stolze Anne Boleyn
Cromwell und Thomas More sind sich nicht grün.
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Marius Joa, 13. November 2016. Bilder: BBC/Polyband.
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